Zur Geschichte des Wohnens muß man nicht bis zu den Höhlen oder ersten Hütten zurückgehen, es reicht einen Blick in die Zeit vor der Industrialisierung zu werfen. Damals lebten die allermeisten Menschen in Europa von der Landwirtschaft. Das Erwerbsleben bestimmte das Wohnen, die Knechte und Mägde eines Bauernhofs lebten mit dem Bauern und seiner Familie am Hof zusammen. Dort gab es keine Wohnungen, allenfalls hatte jeder eine Schlafkammer für sich, die aber auch nur zum Schlafen geeignet war, weil sehr klein und nicht beheizbar. Die Menschen verbrachten ihre gemeinsame Zeit außerhalb der Arbeit in der Wohnküche, dort aßen sie, verrichteten Handarbeiten, unterhielten sich, ...., der einzig andere Ort für die freie Zeit dürfte die Dorfschenke gewesen sein. Wo es große Landgüter adliger Herrschaften gab, lebten die Landarbeiter und das Hauspersional freilich getrennt von der Familie des Gutsbesitzers, aber auch eng unter sich. Ähnlich war es im Handwerk, hier lebten die Gesellen und Lehrlinge meist mit im Haus des Meisters.
Nun gab es damals auch Leute die nur mit ihrer engen Familie zusammen in einem Haus lebten oder sogar ganz allein. Das waren Leute, die zu arm waren, um Personal / Gesinde zu unterhalten oder einem Gewerbe nachgingen, das ohne weiteres Personal auskam oder wo dieses eigenständig in der Nähe wohnte. Alleinstehende hatten oft nur ein Zimmer gemietet und wurden oft von der Hausfrau mit Essen versorgt. Aber da die Städte klein waren und die Menschen wenig mobil, kannte man sich gut.
Ein Mythos ist dagegen eher die romantische heile Welt
der Großfamilie. Zwar wohnten damals schon mehrere Generationen in einem Haus,
denn man konnte es sich gar nicht leisten, daß die Eltern ein großes Haus allein
bewohnten und die Kinder sich etwas Neues bauten, Da übernahm meist der älteste
Sohn, wenn er eine Familie gegründet hatte, das Haus und die Eltern zogen sich
aufs "Altenteil" zurück. Die jüngeren hatten dort aber oft keinen Platz mehr,
wurden mit einem Erbteil abgefunden und mußten anderwo leben und die Töchter
folgten ohnehin ihrem Ehemann. Manche mußten sich aber auch mit einem Leben im
Kloster abfinden. Die Klöster waren damals keineswegs ein Rückzugsort für streng
religiös Motivierte, vielmehr waren sie ein Auffangort für den Teil der
Kinder, die nicht mehr ernährt oder mit einem Erbe abgefunden werden konnten.
Außerdem konnten viele Menschen gar keine Familie gründen, denn dazu war in
vielen Zeiten und Regionen eine Erlaubnis nötig, die an die Fähigkeit gebunden
war, diese auch ernähren zu können. Und wer Kinder hatte, mußte oft erleben, daß
diese vor ihm/ihr starben.
Insgesamt lebten die Menschen sehr viel enger zusammen als heute, viele verbrachten ihr ganzen Leben an ihrem Geburtsort, auch wer dann anderwo eine Heimat fand, blieb in der Regel dort, Vor allem spielte sich das ganze Leben - Arbeit, Einkauf, Freizeit,..- im selben kleinen Umfeld ab.
Die heutige Form des Wohnens wurde von der Entstehung der "bürgerlichen Berufe"
begründet, denn bei diesen begannen sich Arbeitsstätte und Wohnort zu trennen.
Es änderte sich auch das Rollenverhalten. Nun ging der Mann tagsüber seinem
Beruf in Praxis, Kanzelei, Kontor oder Amtsstube nach und kam abends nach Hause
zu Frau und Kindern, die dort den Tag verbrachten. Das Haus oder die Wohnung
wurde zum Rückzugsort, der nach außen abgeschirmt wurde. Schließlich war es dem
Bürger wichtig, seinen Ruf zu wahren, da durfte Privates allenfalls gut
gefiltert nach außen dringen. Allenfalls gab es einen "Salon" als
repräsentativen Ort um gesellschaftliche Kontakte zu pflegen, damit ahmte der
Bürger den Adel nach. Aus diesem Salon wurde das "Wohnzimmer", das früher eher
zum Schonen statt Wohnen da war.
Für den größten Teil des Volkes änderte sich das Wohnen
mit der Industrialisierung. Zum Arbeiten mußte man in die Fabrik, um das Wohnen
mußte man sich selbst kümmern und mietete sich kleine Wohnungen. Da diese
Wohnungen anfangs sehr klein waren und oft noch "Schlafgänger" aufgenommen
wurden, die sich gar keine eigene Wohnung leisten konnten, war es mit Privatheit
aber nicht weit her.
Als sich mit der Zeit die soziale Lage der Arbeiter besserte, wurden auch die
Wohnungen größer und besser und die Arbeiter orientierten sich am Bürgertum.
Allerdings schirmten sie sich lange noch nicht so stark voneinander ab. Ein
typischer Unterschied war es, daß in bürgerlichen Wohnvierteln die Vorderseite
der Häuser der Repräsentation diente, das Leben im Freien sich dahinter im
(durch Mauer oder Hecke) abgeschirmten Garten abspielte, In Arbeitervierteln
dagegen, nutzte man den rückwärtigen Raum eher als Lagerraum und lebte offe
nach vorne, auf die Strasse hinaus. Man hielt generell mehr Kontakte zu den
Nachbarn.
Im Laufe der Zeit verbürgerlichte sich der Lebenstil der Arbeiter, während sich das alte Bürgertum auflöste. so daß diese alten Klassen heute keine Bedeutung mehr haben.
Um 1900 herum gab es die Lebensreform-Bewegung, die sich aus den gesellschaftlichen Zwängen befreien wollte. Dazu gehörten neben einem "zurück zur Natur" und Kleidungsreform auch gemeinsame Lebensmodelle, zum Beispiel Landkommunen. Aber diese hatten keinen Bestand. Sicher spielt hier auch eine Rolle, daß sie politisch nicht erwünscht waren, aber sie muteten den Menschen auch zuviel auf einmal zu und waren auch nur eine Sache einer kleinen Minderheit. In den 1960ern wiederholte die Hippie- und Studentenbewegung vieles der Lebendreform, auch WGs und Kommunen. Wohngemeinschaften gibt es freilich noch immer, aber nur als vorübergehende Phase für junge Leute, vor allem Studenten. Als dauerhafte Wohnform haben sie sich nicht ausgebreitet, weil es in der engen WG in einer Wohnung zuwenig Platz und Privatheit gibt und andere bauliche Angebote nicht zur Verfügung stehen.
Unser heutiger Wohnstil wird nach wie vor von dieser
geschichtichen Entwicklung geprägt, allerdings haben die beruflichen und
sozialen Parameter auch allerhand verändert. Auch für das heutige Wohnen waren
-und sind- die wirtschaftlichen Bedimgungen leitend. Durch die starke
Konzentration der Arbeitsstellen vieler Berufe sind viele gezwungen in den
großen Stadten zu leben, wenn sie nicht einen Großteil ihrer Zeit mit Pendeln
verbringen wollen. In den großen Städten ist Wohnraum knapp und teuer geworden,
eigene Häuser können sich dort nur noch die Spitzenverdiener leisten. Alle
anderen leben in (meist gemieteten) Wohnungen. Auch verhindert die geforderte
berufliche Mobilität den Bau eigener Häuser. Eine soziale Trennung der
Wohnbedingungen gibt es nach wie vor, nur spielt hier nicht mehr so sehr die
Größe oder Ausstattung der Wohnung die wesentliche Rolle, sondern eher das
Umfeld oder Stadtviertel.
Dort wo große Wohnsiedlungen vom "sozialen Wohnungsbau" hochgezogen wurden,
leben viele der Menschen, die heute dem "Prekariat" zugerechnet werden, das an
die Stelle der "Arbeiterklasse" getreten ist. Dieses Wohnumfeld istz zwar
auch von der Architektur nicht gerade einladend, aber vor allem gibt es dort
viel Verwahrlosung, Kriminalität, Vandalidsmus und Drogensucht, so daß das
Wohnen dort unattraktiv ist. Wer es sich leisten kann, zieht in die "besseren"
Wohnviertel, die deshalb als "besser" gelten, weil die Besserverdienenden unter
sich sind. Auch ist das Umfeld dort attraktiv, wo es viel Kultur und andere
Freizeit-Einrichtungen gibt.
Anders am Land und in kleinen Städten: Dort gibt es bei den Wohnvierteln mit Mietwohnungen keine so starke soziale Trennung, vor allem aber ist hier vielerorts der Grund noch so zu Preisen zu haben, die sich der Mittelstand leisten kann. Daher können sich dort noch viele ihrem Traum vom eigenen Haus mit Garten verwirklichen. Manche nehmen auch lange Pendefahrten in die nächste große Stadt dafür in Kauf, so wachsen diese Einzelhaus-Siedlungen rund um die Kleinstädte immer mehr und verbrauchen viel Land.
Aber ob Mietwohnung oder Eigenheim, alle haben nach wie vor die starke Abkapselung der dort Wohnenden gemeinsam. In den großen Mietshäusern führt der abrupte Übergang zwischen der privaten Wohnung und dem öffentlichem Raum (zu dem schon das Treppenhaus gehört) zu mangelnder Gelegenheit, die Nachbarn kennenzulernen. In den Siedlungen ist aber ähnlich, hier besteht die Gewohnheit, das gesamte Grundstück mit Hecken, Zäunen und sogar Mauern vom Nachbarn und der Straße abzuschirmen und Ort für Gemeinsamkeiten fehlen, oft gibt es nicht einmal einen Laden für Lebensmittel vor Ort. Auf diese Weise sind unsere Wohnungen und Häuser zum rein privaten Rückzugsort geworden, das soziale Leben spielt sich an ganz anderen Orten ab: am Arbeitsplatz, beim Einkauf, in Wirtschaften, Vereinen, Kultur-Einrichtungen, aber selten in der unmittelbaren Nachbarschaft. Damit fehlen Gelegenheiten die Nachbarn besser kennzulernen. (mehr in "Psychologie").
Wenn die Wohnform der Wirtschaft und den sozialen
Verhältnissen folgt, ist es an der Zeit, daß die Abkapselung in der
Familien-Wohnung wieder zugunsten gemeinschaftlicher Wohnformen aufgelöst wird.
Heute leben viele Menschen nicht mehr in vollständigen und dauerhaften Familien,
es gibt viele Singles und Alleinerziehende. Beruflich wird hohe Mobilität
gefordert, was eine Hürde für den Bau eines Eigenheims ist und es nötig macht,
sich nach einem Umzug wieder schnell sozial zu integrieren. Andrerseits erlauben
die digitalen Techniken Arbeit von zuhause aus, was dann aber auch zur Isolation
führen kann. Der Platz zum Wohnen ist knapp und teuer geworden, vor allem
in den Städten, aber auch auf dem Land können wir uns den hohen
Flächenvernbrauch nicht länger erlauben. Das macht es nötig, die rein private
Wohnfläche zu verkleinert und dafür Platz gemeinschaftlich zu verwenden, wo
immer es möglich und sinnvoll ist.
Leider hat die Politik diese Notwendigkeiten (noch) nicht erkannt, es wird noch immer nur in der üblichen Art gebaut. Wo es gemeinschaftliche Wohnformen gibt, sind sie aus privater Initiative entstanden. Aber die Politik mußte schon immer von der Bevölkerung gedrängt werden, die gewohnten (!) Pfade zu verlassen und neue Wege zu beschreiten. Also sollten alle, die sich neue gemeinschaftliche Wohnformen wünschen ihre örtliche Politik auffordern so etwas zu schaffen, da wäre dann ein "sozialer Wohnungsbau" im Wortsinn.